NEURO-MOON. MANAGE YOUR MEMORIES
Kammeroper in vier Akten
Theater Freiburg
Libretto: Emma Braslavsky / Komposition: Sara Glojnarić
Musikalische Leitung: Friederike Scheunchen
Regie: Miriam Götz
Bühne und Kostüme: Sarah Mittenbühler
Licht: Dorothee Hoff
Klangregie: Lukas Nowok
Video: Robert Läßig
Dramaturgie: Heiko Voss
Mit Johannes Fritsche (Tilman), Janina Staub (Selina), Yunus Schahinger (Aslan), Ani Yorentz (Sumi), Mona Georgia Müller (Fenja), ensemble recherche
NEURO-MOON. MANAGE YOUR MEMORIES ist ein Stück über Gedächtnis und Identität in Zeiten totaler Personalisierung, über Recht und Pflicht zu vergessen und zu erinnern.
Ein schlechter Tag? Es liegt an Dir, wie Du Dich morgen erinnerst! Wie soll sie sein, die Erinnerung? Weniger peinlich? Extravagant? Oder schlicht erträglich? Willkommen im Zentrum Deiner Sehnsüchte, in der Vergabestelle für „Positive Alternate Endings“. Hier wird praktizierte Erinnerung betrieben. Doch wie viel Veränderung verträgt der Mensch, bevor das humane System kollabiert? Gemeinsam mit der KI-Spezialistin Emma Braslavsky entwirft die junge Komponistin Sara Glojnarić ein spannendes Vexierspiel, bei dem zwischen Erinnerung, realer Gegenwart und korrigierter Vergangenheit bald nicht mehr zu unterscheiden ist.
„Sara Glojnarić bewegt sich in ‚Neuro-Moon‘ mit traumwandlerischer Sicherheit an allen möglich gewesenen Kitsch-Fallen vorbei. Einfühlsam und einschmeichelnd klingt ihre Musik. Aber wie meist bei ihr: Das virtuose Zusammenspiel von Live-Musik und Live-Elektronik, von Tape-Zuspielungen und Videoprojektionen sorgt von Anfang an für eine komplexe und schillernde Szenerie. (…) Lange, schwebende Gesangslinien über einer geheimnisvollen, suggestiven Klanglandschaft von Instrumenten und Elektronik: Immer wieder fast tonal ist Sara Glojnarićs Musik an vielen Stellen ihres neuen Musiktheaters. (…) Sara Glojnarić hat mit ihrer Musik einmal mehr einen Nerv unserer Zeit getroffen.“ (Rafael Rennicke, SWR2)
HANDLUNG
Neuromoon ist ein Stück über Gedächtnis und Identität in Zeiten totaler Personalisierung, über Recht und Pflicht zu vergessen und zu erinnern. Selina, eine junge Programmiererin, und Tilman, ein Neurologe, sind ein Paar. Als sie eines Abends nach einem Essen bei Freunden in Streit geraten, wird deutlich, dass beide einige Erinnerungen belasten, die ihr Verhalten zueinander und gegenüber anderen beeinflussen.
Nach einer emotionalen Aussprache, erzählt Tilman ihr von der Möglichkeit, mithilfe des Neuro-Imaging-Verfahrens bewusst zu vergessen und diese Erinnerung zu überschreiben. Selina will wissen, wie das funktioniert, und er demonstriert ihr das. Dann versuchen sie es bei ihm, und dabei kommt Selina die Idee, eine App zu programmieren, mit der auch andere Betroffene ihr Gedächtnis bewusst umarbeiten könnten.
Und weil sie die App immer nachts, nur im zu- und abnehmenden Licht des Mondes programmiert, nennt sie die Applikation NEURO-MOON. Selina will mit Tilman eine Firma gründen, er zögert, ist eigentlich zu schüchtern, um ein Unternehmer zu sein, aber Selina überzeugt ihn und holt seine Schwester Fenja als PRManagerin ins Boot. Rasend schnell entwickelt sich NEURO-MOON zur meist genutztesten App in Deutschland und bald auch auf dem gesamten Planeten. Überall überschreiben Menschen schwierige und unliebsame Erinnerungen, NEURO-MOON versetzt die Welt in regelrechten Rausch.
Mit dieser Popularität kommen durch die schlechte Publicity einiger selbsternannter Mahnmal-Wächter dann beim Gesetzgeber Zweifel auf, ob die schweren Erinnerungen nicht wach gehalten werden sollten und einfach so gelöscht werden dürften. Immerhin stellten sie faktische Historie dar, die bewahrt werden müsse. Sie verpflichten das Startup, die gelöschten Erinnerungen anonymisiert und verschlüsselt als Quasi-Kulturgut aufzubewahren.
Doch bald sind die Server davon überlastet, wegen der vielen besonders schweren traumatischen Bilder der deutschen und internationalen Vergangenheit und Gegenwart bleibt kaum mehr Platz für Neues. Etliche Abstürze und Ausfälle bringen NEURO-MOON immer schlechtere Bewertungen ein und drohen die App aus den digitalen Vertriebsplattformen zu verdrängen. Als Fenja ihnen schon mitgeteilt hat, dass eine Insolvenz unvermeidlich sei, bekommen sie ein Angebot von der SAP-Tochter, dem neuen Super-Provider Q*MOON, mit ihnen gemeinsam in ein Joint Venture mit SpaceX einzusteigen und ihre App über die nagelneue Quantenserver-Anlage auf dem Mond hosten zu lassen.
Die Vorteile seien nicht nur die irre schnellen Prozessoren, sondern dass die Anlagen im Weltraum nicht heiß laufen oder überlastet werden können, dort können Quadrillionen Qbits blitzschnell verarbeitet und sicher auf Dauer gespeichert werden. Sie steigen ein, und der Mond im Namen ihrer App bekommt jetzt eine echte, fast mythische Bedeutung, die Selina, Tilman und Fenja in ihrem neuen Branding benutzen. Connect your mind to the moon and relaunch your brandnew spirit heißt ihr neuer Slogan.
Zeitgleich entsteht eine weltweite Bewegung unter dem Namen Happy people. Sie ruft Menschen dazu auf, mithilfe von NEURO-MOON glücklicher und Teil einer neuen gewaltfreien Ära auf der Erde zu werden. Die App wird in einem aufgefrischten Design relauncht. Durch ihre neue Hochleistungsfähigkeit sind nun auch die schwersten, kollektiven Erinnerungen kein Problem mehr.
Der Siegeszug der App, das rasende Wachstum der Happy PeopleBewegung scheinen unaufhaltsam. Ein plötzlicher Serverausfall bei Q*MOON droht den Rausch für immer zu beenden. Q*MOON unternimmt vergeblich alle Anstrengungen, dem mysteriösen Ausfall auf die Spur zu kommen, der sämtliche Speicher von NEURO-MOON unwiederbringlich gelöscht hat. Um Schaden zu begrenzen und die Kunden bei der Stange zu halten, organisiert Q*MOON einen Flug zum Mond, um dort mit einem PRTeam gute Laune zu verbreiten und zu beschwichtigen, dass alles unter Kontrolle sei, keine anderen Server betroffen und es weiterlaufen könne wie bisher. Den Usern von NEURO-MOON bleiben nur die neuen Erinnerungen von einer Geschichte, in der es nie Krieg, Gewalt oder sonstige Schrecken gegeben hat, und Geschichtsbücher, die ihnen wie Verschwörungstheorien vorkommen.
Kompositionsauftrag des Theater Freiburg und des Ensemble Recherche finanziert durch die Ernst von Siemens Musikstiftung.